Updated 08-Maj-2020

Tochter des Landwirts

- Vater brachte uns auch das Reiten bei

"A", das war meine Kindheit in Stora Herrestad in Süd-schweden, wo ich geboren bin. Dort haben meine Eltern einen großen Bauernhof. Der Hof ist im Karree gebaut, wie eine Festung. Auf einer Seite liegen die Stallungen, im rechten Winkel dazu rechts und links die Scheunen, Garagen und Vorratsräume, gegenüber dem Stalltrakt das Wohnhaus, aus Erdgeschoß und erstem Stock bestehend, mit breitem, behäbigem Dach.

- Die Ostsee ist nicht viel mehr als 20 km entfernt, und ihr frischer Wind wehte oft herüber, wenn wir im Hof oder im Garten spielten. Ich wurde von meinen Eltern nicht verwöhnt, um so mehr aber von meinen vier Brüdern. Es war eine glückliche Zeit, die wir miteinander verbrachten: Vater und Mutter, wir fünf Kinder, unsere 50 oder 60 Kühe, die Pferde, das Federvieh - und was sonst noch alles dazugehörte. Vater brachte uns auch das Reiten bei.

- Wir hatten eine glückliche Zeit zusammen

- Mit knapp sieben Jahren kam ich in die Schule unseres Dorfes, einige Jahre später dann in der benachbarten Stadt Ystad in die Mittelschule. Im Krieg mußten wir eines Tages unsere Pferde abliefern, aber Vater sorgte, als er meinen großen Kummer darüber bemerkte, dafür, daß ich zum Zureiten von Jungpferden hinzugezogen wurde. Für die Feldarbeit schaffte Vater einen Traktor und Maschinen an. Der Krieg ging an Schweden vorüber. Eines Tages kehrte wieder Frieden in Europa ein. Obwohl wir ja wenig von den unruhigen Zeiten gemerkt hatten, waren Vater und Mutter - und demzufolge auch wir - sehr froh.

1949 Ausbildung an Blue Star

- Nachdem ich mein "Real-Examen" abgelegt hatte, schickte mich Vater auf eine Landwirtschaftsschule, in der ich einiges über zweckmäßige Großviehhaltung lernte, ein Thema, das mich sehr interessierte. Meine Eltern waren einverstanden, als ich im Anschluß daran auf ein halbes Jahr zu Dr. Ernst Palsson als Gehilfin ging. Dr. Palsson, unser Veterinärarzt, betreute ein enorm großes Gebiet meiner näheren Heimat. Mit ihm war ich nun bei Wind und Wetter unterwegs, wurde mit zahlreichen Bauernfamilien der Umgebung und all ihren Sorgen und Nöten - nicht nur ihres Viehs, sondern auch ihrer Familien vertraut.

Mein Vater kaufte einen Mercedes 170 S

- Schließlich schlug mir mein Chef vor, zwei Semester Tiermedizin zu belegen und das in Schweden danach übliche kleine Assistentenexamen zu machen. Voller Sorge sah Mutter mir nach, als ich in Ystad, dem uns nächst gelegenen größeren Ort, in den Zug nach Stockholm stieg. Auf ein Jahr mußte sie mich nun mir selbst überlassen! Aber die Eltern hatten vorgesorgt und mir ein nettes Zimmer bei einer befreundeten Familie verschafft, wo ich wie eine Tochter aufgenommen wurde. Mit großem Interesse absolvierte ich meine zwei Semester und schaffte auch die Prüfung glatt. Stolz, mit meinem Diplom als "Veterinär-Assistentin" in der Tasche, kehrte ich nach Hause zurück.

- Dr. Palsson nahm mich mit offenen Armen wieder auf und wies mir ein Gebiet seines "Distriktes" zu. Er war von der staatlichen Behörde hier eingesetzt, um - mit Hilfe von mehreren Assistenten - unter anderem auch die bereits Anfang der fünfziger Jahre in Schweden weit verbreitete, allgemein übliche künstliche Befruchtung von Kühen durchzuführen. Und genau das mußte ich - wie meine Kolleginnen - hinfort in "meinem" Gebiet tun. Erleichtert wurde meine Arbeit dadurch, daß ich schon viele der Höfe, die mir zugeteilt worden waren, durch meine vorherige Tätigkeit bei Doktor Palsson gut kannte. Meinen Beruf konnte ich jedoch nicht ohne ein Requisit ausüben, das unerläßlich war, um die Höfe zu erreichen: ein Auto! Vater griff tief in die Tasche. Er kaufte mir einen - Mercedes! Es war ein 170 S.

Zwölf Jahre als Veterinär-Assistentin

- Ich hatte in Stockholm gerade meine Fahrprüfung abgelegt - nun kutschierte ich stolz mit meinem schönen Wagen durch Südschweden. Immer auf ländlichen Straßen: Sand, Geröll, selten ein Stück Asphalt. Meist mußte ich zu weit abgelegenen Höfen fahren. Die künstliche Befruchtung von Kühen ist in Schweden hervorragend organisiert. Die Bauern rufen bei einer Zentrale - hier also bei Dr. Pålsson - an und bestellen einen Assistenten. Wir Assistenten bekamen unseren "Fahrplan" und in einem Thermosbehälter den Samenstoff, der von ausgewählten Bullen stammte und stets unter 5 Grad Celsius Temperatur gehalten werden mußte, da er sonst wertlos wurde. Diese Thermosbehälter wurden jeden Morgen in der Zentrale für uns bereitgehalten, damit wir sofort losfahren konnten.

- Das Fahrpensum, das ich - wie meine drei Kolleginnen - Tag für Tag zu bewältigen hatte, lag zwischen 150 und 200 km, fast durchweg auf Naturstraßen, Geröll- und Feld¬wegen ... Allmählich wurde ich immer bekannter bei "meinen" Bauern und wurde meist schon mit großem Hallo begrüßt. Ich mußte mit Kaffee trinken oder zu Mittag essen, hier etwas trinken, dort eine Tasse Tee und Gebäck nehmen. Bald wußte ich über sämtliche Familienverhältnisse ausgezeichnet Bescheid, denn neben meiner Arbeit im Stall mit Thermosbehälter und Glassonde hatte ich auch die "Arbeit" zu verrichten, mir alles geduldig anzuhören, Trost zuzusprechen, wenn ein Kind krank oder in der Schule zu bequem war, oder mich mit zu freuen, wenn ein zweiter Sohn angekommen war ... Das alles kostete Zeit, wollte ich nicht unhöflich alles ablehnen und immer gleich wieder davonfahren. Feierabend wollte ich aber auch einmal haben!

Ewy hatte auch eine MG

- Was blieb mir also übrig: ich trat den Gashebel tiefer herunter und fuhr schneller, um von einem Gehöft zum anderen zu gelangen ... Nach zwei Jahren fuhr ich bereits so gut, daß ich abends trotz all meiner Unterbrechungen in den Höfen meist anderthalb bis zwei Stunden eher "herum" war, als meine Kolleginnen. Vaters Mercedes fuhr ich über 220 000 km auf schwedischen Landstraßen! Dann erlaubte er mir, ihn auf eigene Rechnung zu verkaufen und mir - sofern ich den Differenzbetrag selbst bezahlte - einen neuen anzuschaffen. Einen Mercedes konnte ich mir aus eigener Tasche noch nicht leisten, aber für einen Fiat 1100 reichten meine Finanzen gerade aus.

- Nun aber verfolgte ich ein anderes System: ich fuhr keinen der folgenden Wagen mehr als 50 000 km. Dadurch hatte ich keine Reparaturen, konnte den alten Wagen immer äußerst günstig verkaufen und mit verhältnismäßig geringem Aufwand an zusätzlichen Barmitteln einen neuen anschaffen. Die Wagen wechselten in bunter Folge: Nach dem Mercedes 170 S kam der Fiat 1100, nach dem Fiat kam ein zweiter Fiat, dann ein Saab, wieder ein Saab, ein Volkswagen, und schließlich ein Volvo 1600, also bereits wieder ein etwas schwererer Wagen. In meinem Beruf verdiente ich inzwischen ziemlich gut.

Der obige Text ist buchstäblich von Ewy Rosqvist Buch entnommen "Fahrt durch die Hölle" Copress-Verlag München 1963

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